Ich folge sehr gerne der Bitte von Christina Wenz, Mediatorin und Volljuristin, einen Artikel für Ihrer Blogparade „KONFLIKTE ALS CHANCE“ zu schreiben.
Ich möchte das Thema Streit gerne aus psychologischer Sichtweise beleuchten und sage:
„Zeige mir, wie du streitest und ich sage dir, wie alt du bist!“
Konflikte als Chance zur Selbsterkenntnis
Ein Streit ist eine Situation, in der zwei Interessen aufeinander prallen.
Je nachdem, wie wir gelernt haben, mit dieser Situation umzugehen, kann daraus eine konstruktive Diskussion entstehen, oder ein zerstörender Streit oder ein dicker Teppich, unter dem alles gekehrt wird.
Wir begegnen jeden Tag Situationen, in denen unsere Interessen nicht mit denen eines anderen zusammen passen. Jeder Mensch hat andere Wünsche und Bedürfnisse. Grundsätzlich wünschen wir uns Harmonie und Frieden, Gleichklang und Gemeinsamkeit. Doch das ist oft unrealistisch und wir fühlen uns persönlich abgelehnt, wenn der andere anders denkt oder fühlt.
Stimmt das?
NEIN, denn wenn mein Gegenüber andere Wünsche hat, als ich, ist es keine Ablehnung zu mir, sondern ein JA zu seinen Bedürfnissen.
An einem Beispiel möchte ich dies näher beschreiben.
Ihr Mann möchte am Wochenende in die Berge zum Wandern fahren, Sie möchten lieber zuhause bleiben und sich einfach nur durch den Tag treiben lassen. Am Donnerstag kommt das Thema auf den Tisch und Ihr Mann plant schon, auf welche Hütte es geht.
Was machen Sie? Sie überlegen fieberhaft nach einer Ausrede, oder müssen Sie unbedingt Ihre kranken Eltern besuchen? Oder bekommen Sie am Samstag einen Migräneanfall, damit Sie zuhause bleiben können? Oder gehen Sie ihm zuliebe mit und ärgern sich das ganze Wochenende, dass Sie es wieder nicht geschafft haben, über Ihre Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen?
Der Weg, den Sie wählen, sagt sehr viel über Ihre Konfliktfähigkeit aus und darüber, welcher Anteil in Ihnen die Macht übernimmt.
Warum fällt es Ihnen so schwer zu sagen, was Sie wirklich wollen?
Wir drehen die Zeit zurück und Sie sehen sich als kleines Kind. Unsere Überlebensstrategie damals war Anpassung oder Verteidigung.
Wir lernen sehr schnell, dass wir Liebe und Anerkennung bekommen, wenn wir brav sind und uns so verhalten, wie es von den Eltern gewünscht wird.
Wenn wir unseren eigenen Willen durchsetzen, dann bekommen wir Ärger, Ablehnung und oft sogar eine Strafe. Als Kind ist diese Situation mit viel Stress verbunden, zum Überleben brauchen wir die Eltern, wir leiden auch unter der schlechten Stimmung, beziehen alles auf uns und können dann nur darauf warten, bis uns die Eltern wieder wohlgesonnen sind. Wir sind der Situation ohnmächtig ausgeliefert. Das prägt uns sehr stark.
Wir werden größer, aber der Mechanismus ist geblieben. Entweder passen wir uns an, verlieren das Gefühl für unsere Bedürfnisse, richten uns oft nach den Wünschen anderer und halten die schlechte Stimmung der anderen nicht gut aus.
Die Folge ist, dass wir sehr beliebt sind, pflegeleicht sozusagen, streiten kann man mit uns nicht. Doch diese Harmonie ist keine echte Harmonie, denn sie geht zu Lasten unserer Wünsche und Bedürfnisse. Irgendwann haben wir auch den Zugang zu unseren Bedürfnissen verloren und werden immer unzufriedener und lustloser. Vor lauter Anpassung leben wir das Leben, wie es andere haben wollen, aber unsere Leidenschaft, unsere Kreativität und unser Potential sind auf der Strecke geblieben.
So sieht das angepasste Verhaltensmuster aus.
Oder wir waren der Trotzkopf, der sich ganz anders durchgesetzt hat.
Wir haben als kleines Kind erfahren, wenn wir nur ordentlich Stress machen, dann geben die Eltern schnell nach, denn sie halten den Krach nicht aus. Sobald etwas nicht nach unserem Willen läuft, haben wir geschrien, getobt oder uns wütend auf den Boden geworfen. Die Eltern gaben nach, Ziel erreicht. Eine Zeitlang ist das auch eine wichtige Entwicklungsphase, doch manchmal bleiben wir in dieser Phase stecken und reagieren auch heute noch so.
Wir erreichen vielleicht schnell, was wir wollen, weil unsere Wutanfälle gefürchtet sind, doch sehr beliebt machen wir uns damit nicht. Bei jedem Streit explodieren wir, der Adrenalinspiegel steigt und wir fühlen uns extrem unter Druck. Es dauert lange, bis wir uns wieder beruhigt haben. Gesund ist das auf Dauer nicht.
Erinnern Sie sich an Ihren letzten Konflikt. Wie haben Sie reagiert?
Wie ein braves, angepasstes oder wie ein tobendes, trotziges Kind?
In unserem Beispiel könnte es so weiter gehen:
Sie haben Ihrem Mann von Ihrem Wunsch, zuhause zu bleibe, erzählt und er reagiert irritiert, vielleicht sogar verärgert. Er antwortet entsprechend und dann kann es zu einem Konflikt kommen. Sie wiederholen, dass sie zuhause bleiben möchten, Ihrem Mann ist verärgert und schaut enttäuscht. In Ihnen macht sich ein Gefühl von Hilflosigkeit und schlechtem Gewissen breit, mein Mann ist ent-täuscht, Mist und ich bin Schuld….
Dann müssen Sie auch noch Ihren Wunsch begründen, warum Sie lieber zuhause bleiben möchten, Ihr Mann versteht es nämlich nicht und nimmt es persönlich. Sie wollen einfach mal NICHTS tun, entspannen, schauen, was der Tag so bringt, nach Lust und Laune.
Ihr Mann ist anders, er braucht zum Entspannen Action.
Schon wieder schlechtes Gewissen, Sie sind schuld, dass er nicht entspannen kann. Alleine wird er nicht wandern gehen, das ist für ihn langweilig.
Er legt Wert auf Zweisamkeit, sie wollen auch mal gerne alleine sein, noch mehr Schuldgefühle…
Welches Bedürfnis gewinnt? Wer hat Entspannung nötiger? In Ihrem Kopf wird abgewägt und je nachdem, welcher Anteil in Ihnen reagiert, kommt es zu einem handfesten Streit, einem schnellen Nachgeben oder einer konstruktiven Auseinandersetzung.
So geht es Ihnen, wenn Sie sich wie ein angepasstes Kind verhalten:
Na gut, dann fahren wir halt und es ist keine Entscheidung, die Sie überzeugt und die Sie gerne treffen, sondern eine Entscheidung aus dem Bedürfnis heraus, dass Sie keinen Streit haben wollen. Das Schuldgefühl verschwindet dann auch gleich mit, wie praktisch.
Doch spätestens Samstagmittag sind Sie so schlecht gelaunt und müde, dass Sie sich denken: „Warum habe ich so schnell nachgegeben?“
Ihr Mann ist glücklich und zufrieden und das ärgert sie noch mehr. Er merkt gar nicht, wie müde sie von der Woche sind und welche Bedürfnisse Sie haben.
So geht es Ihnen, wenn Sie wie ein trotziges Kind reagieren:
Sie sind bockig und schimpfen Ihren Mann einen Egoisten, immer muss es nach seiner Nase gehen, nie kann er nachgeben. Sie spüren die Wut in Ihrem ganzen Körper, Sie stehen so unter Druck, dass Sie Ihren Ärger richtig rausschreien, vielleicht sogar mit den Türen schlagen und sich dann beleidigt zurückziehen. Ihr Mann ist genervt und verbringt das Wochenende entweder allein beim Wandern oder bei Freunden. Es dauert Tage bis Sie sich wieder aufeinander einlassen können. Sie haben sich zwar durchgesetzt, aber richtig glücklich sind Sie jetzt auch nicht.
Sie können Ihre freie Zeit gar nicht genießen, denn entweder brodelt es noch in Ihnen oder es tut Ihnen leid.
In Ihnen hat der kindliche Anteil von früher reagiert und die Erwachsene ist zur Seite getreten. Doch beide Varianten entsprechen nicht Ihrem Alter und fördern keine konstruktive Streitkultur.
Wie können Sie als Erwachsene reagieren?
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Also fangen Sie einfach damit an und beobachten Sie sich im Alltag.
Wo geben Sie nach, obwohl Sie es nicht wollen? Wo reagieren Sie zu schnell und zu heftig?
Lassen Sie diese Situation auf sich wirken und stellen Sie sich vor, wie Sie das nächste Mal anders reagieren können.
Im Beispiel mit Ihrem Mann können Sie sich vorstellen, dass Sie Ihren Standpunkt sachlich vertreten und standhaft bleiben. Ja, Ihr Mann ist enttäuscht und vielleicht sogar sauer, wenn Sie nicht mitkommen wollen, das ist sein Ausdruck seiner Enttäuschung. Doch trauen Sie ihm auch zu, dass er mit diesen Gefühlen klar kommt, er sich wieder beruhigt und Sie weiterhin liebt. Sie sind auch nicht für seine Gefühle verantwortlich, sondern nur für Ihre eigenen.
Wenn jetzt in Ihnen die Angst hoch kommt, nie mehr geliebt zu werden und die Spannung zwischen Ihnen so groß wird, dass Sie sie nicht mehr aushalten, dann reagiert in Ihnen das kleine Kind von früher.
Oder Sie merken, wie Sie von der Wut überrollt werden und Sie am liebsten losschreien möchten. Dann hat das trotzige Kind in Ihnen die Macht übernommen.
In beiden Fällen, halten Sie inne und atmen Sie langsam ein und aus.
Sie können jetzt automatisch wie früher reagieren, nachgeben oder toben.
Oder Sie nehmen bewusst wahr, dass ein kindlicher Teil in Ihnen anspringt und das Ruder übernimmt. Wollen Sie das?
Sie sind jetzt erwachsen und können anders reagieren. Sie sind auf niemanden mehr angewiesen, Sie sind alleine lebensfähig und Sie können Ihre Verhaltensmuster jederzeit verändern, in jede Richtung.
Was wollen Sie wirklich? Stehen Sie dafür ein!
Sie bleiben bei Ihrem Wunsch, Zuhause zu bleiben, erklären Ihrem Mann ruhig und sachlich, warum Ihnen das so wichtig ist.
Jetzt können Sie abwarten, was passiert.
Fährt Ihr Mann alleine? Finden Sie einen Kompromiss? Ist die Stimmung das ganze Wochenende schlecht? Sprechen Sie mit Ihrem Mann so lange, bis es für Sie wirklich passt. Sprechen Sie auch über Ihre Ängste und Ihre Gefühle.
Sobald Sie anders reagieren, wird sich alles verändern. Am Anfang wird die Reaktion vielleicht von Ihrem Mann heftiger ausfallen, weil Ihr Gegenüber dieses Verhalten nicht gewohnt ist und er auf sein altes Recht „Meine Bedürfnisse sind wichtiger als deine!“ pocht. Oder Ihr Mann ist erstaunt, dass Sie so ruhig bleiben und es entwickelt sich ein sehr schönes Gespräch.
Sie fürchten sich vor dem Gespräch?
Bevor Sie das Gespräch eröffnen, gehen Sie gedanklich das Gespräch durch und stellen Sie sich vor, welche Lösung Sie gerne hätten!
Stellen Sie sich die Situation nochmal ganz genau vor und sehen Sie sich selbst, wie Sie mit Ihrem Mann reden und eine gemeinsame Lösung finden, die für beide passt.
Zum Beispiel fährt er am Samstag alleine in die Berge, Sie genießen Ihren Schlumpftag und am Sonntag treffen Sie sich mit Freunden.
Wenn er anfangs beleidigt oder verärgert ist, drücken Sie ihm Ihr Verständnis aus. „Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist. Mir ist mein Wochenende auch wichtig und ich brauche Zeit für mich. Das hat nichts mit meiner Liebe zu dir zu tun.“
So fühlt sich Ihr Mann nicht abgelehnt, denn auch in ihm springt der kleine Junge an.
Sie haben das Gespräch gedanklich optimal vorbereitet und alles in Ihnen wird dazu beitragen, dass es so abläuft.
Je öfters Sie bewusst wahrnehmen, wann in Ihnen das kleine Kind anspringt und für Sie reagiert, desto öfters können Sie wie eine erwachsene Frau oder Mann reagieren und zu dem inneren Kind sagen: „Du brauchst jetzt keine Angst zu haben, verlassen zu werden, denn ich bin jetzt groß und ich kann alleine für uns sorgen. Ich bin immer für dich da und die Beziehung zu dem anderen Menschen hält einen Konflikt und die Spannung aus. Du wirst sehen, in kurzer Zeit beruhigt sich der andere und wir mögen uns trotzdem. Ich möchte wie eine erwachsene Frau/Mann reagieren.“
Ihnen wird es immer öfters gelingen, einen Konflikt konstruktiv zu lösen.
Das Geschenk ist:
Aus Scheinharmonie wird ein echter Frieden, Sie sind im Frieden mit sich und Ihren Bedürfnissen, und der andere weiß, was Ihnen wichtig ist.
Früher waren Sie ein lieber, angepasster Mensch, allerdings ohne eigene Meinung, grau und langweilig. Oder Sie wurden als hysterisch angesehen und nicht für voll genommen.
Aus Ihren Wutanfällen wird eine souveräne Gelassenheit, die Sie bei Ihren Mitmenschen sehr beliebt macht.
Sie entwickeln sich zu einer interessanten, erwachsenen Persönlichkeit mit eigenen Bedürfnissen, für die Sie konstruktiv einstehen und die von anderen respektiert werden. So werden Sie für andere spürbarer, Sie nehmen Konturen an und strahlen Lebendigkeit aus.
Folgende Kraftformeln helfen Ihnen, standhaft zu bleiben:
* Ich erlaube mir „Nein“ zu sagen, denn es ist ein JA zu mir
* Ich bin jetzt erwachsen und reagiere auch so
* Es ist mein Leben!
Ich wünsche Ihnen eine gute Lösung für zukünftige Konflikte.
Ihr Mentalcoach
Monika Schießler
Wow, liebe Monika, das ist wieder ein Knaller-Artikel geworden.
Er knallt aber nicht nur beim Lesen, nein, er wird auch ab sofort in meinem Leben wirken und zwar beständig.
Du beschreibst das ganze Thema nicht nur sehr verständlich, sondern lieferst anschließend auch noch Vorschläge mit, wie man es besser machen kann. Und auch das mit Beispielen, die es mir erleichtern, deine Tipps nachher wirklich anzuwenden.
DANKE, du Schatz. ♥ ♥ ♥
Liebe Sabine,
ich freue mich sehr über deine Begeisterung <3 und deine netten Worte, hab mir auch Mühe gegeben.
Die Tipps zum Umsetzen sind glaub ich, eine Lebensaufgabe, also theoretisch weiß ich es, aber
praktisch übe ich noch. LG
Liebe Frau Schießler,
ein toller Artikel! So nachvollziehbar und einfühlsam.
Vielen Dank!
Herzliche Grüße
Elke Kaiser
Liebe Frau Kaiser,
herzlichen Dank für Ihr nettes Feedback, ich freue mich sehr,
dass Ihnen meine Zeilen gut gefallen.
Vielen Dank zurück!
Liebe Grüße
Monika
Liebe Monika,
ein spannender Artikel über und mit dem inneren Kind. In meiner Arbeit als Familiencoach ist es immer spannend zu erleben, wie die Eltern und Kinder miteinander umgehen. Gerade in Konflikten ist dies ein sehr lebendiges Miteinander. Warum? Weil sich eine Mama schon mal wie ein Teenager mit ihrem eigenen Kind streitet. 😉 Meistens ist es den Elternteilen gar nicht bewusst und sie sind dann immer sehr dankbar für den Input von aussen.
Mit sonnigen Grüßen
Jana
Hallo Jana,
Danke für deine Rückmeldung. Als Eltern rutschen wir ja gerne ins überkritische Eltern-Ich oder zurück in das hilflose Kind.
Konstruktive Kommunikation ist gerade in der Pubertät eine große Herausforderung, Erziehung geht nicht mehr, Beziehung ist das Zauberwort. Aber einen Kaktus küssen ist eben auch schwierig. Wie gut, dass es uns gibt und wir eine andere Perspektive anbieten können oder auch Kommunikation üben können.
Mit herzlichen Grüßen
Monika
Liebe Monika, ich freue mich riesig, dass Du meiner Bitte gefolgt bist und an der Blogparade teilnimmst. Ich bin einfach ein großer Fan Deiner Artikel und Tipps. Ich finde Deinen Beitrag großartig und finde, dass er absolut ins Schwarze trifft und den Ehrgeiz und Wunsch weckt, im Konfliktfall immer öfter als Erwachsener zu agieren. Danke, liebe Monika! 🙂 Ganz liebe Grüße, Christina Wenz
Liebe Christina,
es war mir ein Vergnügen 🙂
Danke für deine Wertschätzung und deine netten Worte, ich freu mich sehr darüber!
Schön, wenn ich den Wunsch und Ehrgeiz wecke, erwachsen zu reagieren, dann wird jeder Konflikt zu einer Chance.
Herzliche Grüße
Monika